EuGH zu Health-Claims bei Botanicals
Nach der Vorlage des dBGH zu I ZR 109/22 und der Stellungnahme des Generalanwalts über die wir berichtet haben, hat nun der EuGH am 30.4.2025 zu C-386/23 im Vorabentscheidungsverfahren zur Frage der Verwendbarkeit von on-hold Claims zu Botanicals entschieden. Die Entscheidung ist weit weniger negativ als die Berichte darüber (und deren Reichweite, sogar auf orf.at) vermuten lassen würden.
Nach Art 13 Abs 1 HCVO gibt es drei Kategorien von gesundheitsbezogenen Angaben (abseits der Risk-Reduction Claims und der Kinderclaims), und zwar:
- Angaben über die Bedeutung eines Nährstoffs oder einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung und Körperfunktionen (lit a)
- Angaben über die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen (lit b)
- Angaben über die schlank machenden oder gewichtskontrollierenden Eigenschaften eines Lebensmittels (lit c)
Diese Angaben werden von den Übergangsbestimmungen unterschiedlich behandelt, die Claims, die dem Ausgangsstreit zu Grunde lagen, betrafen Angaben über die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen.
- „stimmungsaufhellendes Safranextrakt“
- „Das Safran-Extrakt Safr’Inside in [dem betreffenden Produkt] wurde an 50 Teilnehmern über einen Zeitraum von 30 Tagen in einer Open Study getestet. Mit einer Dosis von 30 mg Safr’Inside pro Tag erlebten 77 % der Probanden nach nur zwei Wochen Einnahme eine Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts, fühlten sich optimistischer und glücklicher. 66 % fühlten sich auch entspannter und dynamischer. Nach 30 Tagen verbesserte sich bei 11 % der Probanden die Schlafqualität.“
- „Melonensaft-Extrakt mit Superoxid-Dismutase-Aktivität hat in Studien unter Beweis gestellt, dass nach vier Wochen Stressgefühle und Erschöpfung abnahmen. Außerdem wurde die Reizbarkeit und Erschöpfung um 63 % reduziert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führte.“
Das vorliegende Gericht hatte Bedenken, ob die Übergangsregelungen generell noch anzuwenden sind. Es sah gegebenenfalls die Übergangsbestimmung des Art 28 Abs 6 HCVO einschlägig.
Art 28 Abs 6 regelt Übergangsbestimmungen in zwei Fallgruppen:
- Claims, die in einem Mitgliedsstaat einer Bewertung unterzogen und zugelassen wurden.
Sie werden von der Kommission bewertet und zugelassen oder nicht. Werden sie nicht zugelassen (daher abgelehnt) dürfen sie noch 6 Monate nach dem Beschluss verwendet werden. Mangels Beurteilung (on-hold) dürfen sie daher weiter verwendet werden unter der Voraussetzung des Nachweises der Wirksamkeit und generell Art 5 HCVO.
Das Standing Committee on the Food Chain and Animal Health Section on General Food Law hat in einem Treffen im Februar 2010 (Summary Record of Meeting of 22 February 2010, nicht mehr aufrufbar) festgestellt, dass als Bewertung und Zulassung i. S. d. Buchst. a die Aufnahme in die Liste nach Art. 13 Abs. 2 ausreichen soll:
„Finally, as the Commission raised the issue of the different transition provisions applicable respectively to Article 13(1) a), and 13(1) b) and c) claims, Member States confirmed that submission of Article 13(1) b) and c) claims in accordance with Article 13(2) was considered sufficient in terms of observing the transition regime referred to in Article 28(6) (a).“ (Zitiert aus: Holle/Hüttebräuker/Conte-Salinas, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 28, beck-online).
Der EuGH ist auf diesen Aspekt nicht eingegangen, und sah nur Art 28 Abs 6 lit b einschlägig. Dies ist verständlich, finden sich die gegenständlichen Claims eben nicht auf der on-hold Liste.
2. Wurden diese Claims nicht national bewertet und zugelassen, musste für sie ein „Antrag“ nach der HCVO vor dem 19.1.2008 gestellt worden sein.
Antrag ist in dem Zusammenhang zu erläutern: Gesundheitsbezogene Angaben gem Art 13 Abs 1 lit b und c waren Teil des Sammelverfahrens zur Erstellung der Art 13-Liste. Eine förmliche Antragstellung durch den Verwender gesundheitsbezogener Angaben hat insoweit nicht stattgefunden. Eine Einzelzulassung, die auf Antrag erfolgt, war bzw ist insoweit nur bei „neuen“ Daten bzw. bei einem Antrag auf Datenschutz relevant. Fraglich ist daher, ob auch für derartige Angaben aus rein formellen Gründen ein Antrag gem Art 13 Abs 5 zu stellen war, damit eine Berufung auf die Übergangsfrist möglich wäre (zu dieser Problematik ausführlich Bruggmann, LMuR 2007, 97). Wenn eine Aufnahme der gesundheitsbezogenen Angaben in die nationalen Listen gem Art 13 Abs 2 nicht bereits als nationale Bewertung und Zulassung eingestuft wird (Art 28 Abs 6 lit a), wird man eine Aufnahme in die Liste zumindest als Anforderung an die „Antragstellung“ gem Buchst b genügen lassen müssen (so auch Meyer, in: Meyer/Streinz, Erläuterungen HCVO, Rn 132). Wie unter Rn 31 erörtert, hat sich diese Problematik mit der Veröffentlichung der Teilliste der Art. 13-Claims entschärft: Mittlerweile ist Art. 28 Abs. 6 Buchst. b nur noch für diejenigen gesundheitsbezogenen Angaben gem. Art. 13 Abs. 1 Buchst. b und c von Relevanz, die „on hold“ sind, sich also insbes. auf Botanicals beziehen (→ Art. 10 Rn. 8, 18 ff.). (Holle/Hüttebräuker/Conte-Salinas, 1. Aufl. 2018, VO (EG) 1924/2006 Art. 28 Rn. 35, beck-online)
Das Oberlandesgericht Hamburg hat – ohne dass dies im Rahmen der Revision angegriffen worden sei – festgestellt, dass Novel Nutriology für den in dem betreffenden Produkt enthaltenen Melonensaft-Extrakt keinen Antrag gestellt hat und dass ihr Antrag für den Inhaltsstoff Safran-Extrakt vom 13. Januar 2009 datiere.
Relevant für die Beurteilung von Botanicals ist die sogenannte „on-hold Liste“, welche die EFSA auf ihrer Website zum download anbietet. Dort findet sich kein Eintrag zu Melonensaftextrakt und kein Eintrag zu Saffran und den oben genannten Angaben. Die Verfahrensgegenständlichen Angaben waren daher nicht Teil der Liste, die in der Praxis zur Feststellung von on-hold Claims herangezogen wird. Vorgänger der von der EFSA veröffentlichten Liste war im Übrigen eine nicht mehr abrufbare Liste mit den IDs der anhängigen on-hold Claims:

Dies untermauert die Ansicht, wonach für die Bewertung und Zulassung nach Art 28 Abs 6 lit a jedenfalls aber für einen Antrag nach Art 28 Abs 6 lit b die Aufnahme in die Listen der Mitgliedsstaaten genügt.
Demnach ist es weiterhin maßgeblich, nur jene on-hold Claims zu verwenden (unter der eigenen unternehmerischen Verantwortung und Nachweisbarkeit der Wirksamkeit), die auf der on-hold Liste enthalten sind. Das ist meines Erachtens aber auch die weit überwiegende Beratungspraxis.
Ebenso positiv ist aus Rn 66 herauszulesen, dass Art 10 Abs 3 HCVO auch für on-hold Claims gilt, die nach den Übergangsvorschriften verwendet werden dürfen. Eine „Beifügung“ eines on-hold Claims für die Rechtfertigung einer Angabe nach Art 10 Abs 3 ist daher zulässig.
Botanical Claims bleiben daher nach wie vor eine interessante Möglichkeit, insb. NEM zu bewerben – Wirksamkeitsnachweis vorausgesetzt.