Welches Recht gilt bei Telemedizin? – neue EuGH-Entscheidung vom 11.09.2025
1. Art. 3 Buchst. d und e der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff der im Fall der Telemedizin erbrachten Gesundheitsversorgung im Sinne dieser Bestimmung nur Gesundheitsdienstleistungen fallen, die gegenüber einem Patienten durch einen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsmitgliedstaat dieses Patienten ansässigen Gesundheitsdienstleister im Fernabsatz und somit ohne gleichzeitige physische Anwesenheit des Patienten und dieses Dienstleisters am selben Ort ausschließlich mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien erbracht werden.
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3. Art. 3 Buchst. d der Richtlinie 2011/24 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) sind dahin auszulegen, dass telemedizinische Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats zu erbringen sind, in dem der Dienstleister ansässig ist.
4. Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie weder auf einen Erbringer von Leistungen der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin noch auf einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister anwendbar ist, der – ohne selbst den Ort zu wechseln – von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister für einen in diesem letztgenannten Mitgliedstaat wohnenden Patienten in Anwesenheit vorgenommene Gesundheitsdienstleistungen erbringen lässt.
In diesem Verfahren mit erheblicher Tragweite für digitale Gesundheitsangebote vertrat unser Rechtsteam, Jakob Hütthaler-Brandauer und Dany Valerieva-Knoblich, Zahnärztinnen und Zahnärzte, die in Österreich mit einer deutschen Zahnklinik kooperieren. Das Modell ist schnell erklärt: die deutsche Zahnklinik vertreibt in Österreich unter der Marke DrSmile transparente Zahnschienen (Aligner). Die Erstuntersuchung erfolgt vor Ort durch österreichische Partner-Zahnärztinnen und -ärzte, die Planung und die Verlaufskontrolle werden anschließend von der deutschen Zahnklinik telemedizinisch aus Deutschland erbracht.
Die Österreichische Zahnärztekammer sah darin eine unzulässige Umgehung nationaler Berufsregeln und argumentierte, die ausländische Klinik „begebe“ sich durch die Einschaltung lokaler Behandler faktisch nach Österreich und müsse daher die österreichischen Berufsorganisationsvorschriften einhalten.
Der EuGH ist allerdings der Argumentation unseres Rechtsteams gefolgt: Telemedizinische Leistungen richten sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Dienstleister ansässig ist. Berufsregeln des Wohnsitzstaats der Patientinnen und Patienten sind hierfür nicht anwendbar. Wer also im Sitzstaat über die berufsrechtliche Befugnis verfügt und dessen Regeln einhält, darf diese Leistungen grenzüberschreitend anbieten – ohne zusätzlich die Berufsregeln des Empfangsstaats erfüllen zu müssen. Zugleich stellt das Urteil unmissverständlich klar, dass Behandlungsschritte in physischer Anwesenheit dem Recht des Behandlungsorts unterliegen – im vorliegenden Fall also österreichischem Recht, das die vor Ort tätige österreichische Zahnärztin zu beachten hat.